Als Berufsverband der Prostitutionsbranche – mit überwiegend Bordellbetreiber:innen als Mitglieder – gründeten wir uns kurz nach dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002. Vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion um Rechte für alle Beteiligten auf den unterschiedlichsten Ebenen und gegen die bestehende Kriminalisierung und Stigmatisierung. Dabei standen wir bereits mit Politiker:innen in Kontakt, wurden angehört und konnten auch unser Expertenwissen einbringen. Parallel hatten wir angefangen, uns in einer größeren Gruppe in einem Berliner Hotel zu treffen und dabei Einzelaspekte mit Experten (1) zu diskutieren.
Denn damals war uns schon klar, dass es einer besonderen Anstrengung bedürfe
- unter Sexarbeiter:innen und Bordellbetreiber:innen (2) den Nutzen und die Notwendigkeit eines starken Verbandes zu verdeutlichen und
- eines starken Verbandes, um mit Politiker:innen für weitere Gesetzesverbesserungen ins Gespräch zu kommen.
Unser Ziel war, wie die anderen Berufs, und Interessenverbände (wie z. B. dem Bundes verband der Deutschen Industrie, ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V.) zu agieren, also nach innen und außen zu arbeiten:
- die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Strukturen und Arbeitsbedingungen in den unterschiedlichen Prostitutionsstätten zu informieren und insgesamt ein realistisches Bild der vielfältigen Sexarbeitsbranche zu verbreiten – weg von dem Blick durch die kriminalistische Brille,
- Kontakte mit allen politischen Parteien auf Bundes, Landes und Kommunalebene zu pflegen hin zu Gesetzesverbesserungen,
- Bündnisse mit anderen aufzubauen, wie Frauengruppen, Beratungsstellen und Gesundheitsämtern, etc. und
- innerhalb der Branche über Rechte und Pflichten zu informieren, allgemein Professionalisierung voranzutreiben und der Branche insgesamt mehr Transparenz, Qualität und Normalität zu verleihen.
So haben wir neben der Einzelberatung unserer Mitglieder und deren Unterstützung bei der Durchführung ihrer Geschäfte im Laufe unseres Bestehens diverse Seminare, Workshops, Veranstaltungen und Pressekonferenzen durchgeführt.
Herausforderungen der letzten Jahre …
Die Einführung des ProstG brachte kleine, aber wichtige Verbesserungen: Sexarbeiter:innen wurde endlich das Recht auf ihr Honorar zugesprochen. Und Bordellbetreiber:innen konnten ihre Betriebe führen, ohne mit den Straftatbestimmungen der Zuhälterei konfrontiert zu werden. Mit unserer ersten Broschüre „Gute Geschäfte – das ABC des Prostitutionsgesetzes“ wurden wir im Jahr 2002 auf einen Schlag deutschlandesweit bekannt.
Doch die Übertragung des ProstG und seines Paradigmenwechsels auf die anderen Gesetze blieb aus. Die Politik wollte erst mal die Evaluation (3) (2007) des ProstG abwarten. Auch mussten – bedingt durch Neuwahlen (2005 und 2009) – immer wieder neue Bundestagsabgeordnete informiert und überzeugt werden, wie wichtig weitere Gesetzesänderungen seien.
In dieser Situation erarbeiteten wir mit Rechtsanwälten einen eigenen Gesetzestext (4) mit Änderungen im StGB, Sperrgebiets-Verordnung, Ausländerrecht, OWiG, Baurecht, Gewerberecht, Steuerrecht, etc., diskutierten ihn mit unseren Verbündeten und stellten ihn immer wieder der Politik vor.
Doch während wir unsere gesamte Energie in die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und einer Gleichstellung mit anderen Gewerbetreibenden setzen, starteten Prostitutionsgegner:innen mit einer neuen Kampagne und forderten mit prominenter Unterstützung ein sog. Sexkaufverbot, wie es vor Jahren in Schweden eingeführt worden war. Damit war ein neues Aktionsfeld eröffnet, das uns bis heute begleitet.
Uns wurde schnell deutlich: die Sexkaufgegner:innen kannten weder die positiven Seiten der Sexarbeit noch die Situationen in den Bordellen. So setzten wir endlich unsere Idee eines Gütesiegels (5) für die Bordelle um und erhielten wieder große Aufmerksamkeit. Dieses Gütesiegel gibt wie z. B. die Sterne der Hotels den Kunden und auch den Sexarbeiter:innen einen Eindruck über die Ausstattung des jeweiligen Bordells und dessen rechtlichen Absicherung.
Kurz vorher war nach jahrelangen Diskussionen das ProstSchG (2017) in Kraft getreten mit einer neuen verpflichtenden gesundheitlichen Beratung und Anmeldung für Sexarbeiter:innen, die regelmäßig wiederholt werden müssen und einer Erlaubnis für Prostitutionsstätten, die endlich der Konzession im Gewerberecht gleichkam.
Doch bevor dieses neue Gesetz breit umgesetzt werden konnte, erwischte uns die Corona-Pandemie. Wohl keine andere Branche wurde so diskriminiert und diffamiert wie die Prostitution. Sexarbeit war weitestgehend verboten (wurde mit hohen Bußgeldern bestraft) und die Bordelle waren geschlossen. Davon hat sich die Branche bis heute noch nicht gänzlich erholt. Viele haben es mit dem Verlust der Existenz und damit großen finanziellen Einbußen bezahlt.
Zu unseren Aufgaben zählen wir auch die Durchführung eigener Kampagnen und die Unterstützung von Klagen – wie z. B. die Verfassungsbeschwerde von zwei Kunden gegen die Verschärfung in § 232a Abs. 6 StGB: Zwangsprostitution. (Kunden werden danach unter Generalverdacht gestellt und haben ggf. zu beweisen, dass sie nicht erkennen konnten, dass sie nicht bei einer freiwillig tätigen Sexarbeiterin sexuelle Dienstleistungen kauften. Es handelt sich also um einen sog. Beweisumkehr.)
Klar war uns schon bei der Gründung: neben vielen Informationen, Haltungen und Erfahrungen mussten auch immer viele sich zum Teil überschneidende Gesetze (6) und deren verschiedenste, regionale und persönliche Auslegungen beachtet werden.
Mit dem Prostitutionsgesetz hatten wir große Hoffnungen verbunden. Wir verstanden dieses Gesetz als einen Neuanfang – Nachbesserungen, die Einbindung weiterer Gesetze bzw. die Übertragung des ProstG auf diese wegen des so deutlichen Paradigmenwechsels erwarteten wir in den folgenden Jahren Schritt für Schritt – so hatte die Politik es uns ja auch versprochen und uns z. T. den „Roten Teppich“ ausgerollt. Doch die Realität der Politik erwischte uns auf kaltem Fuße: bevor das ProstG erweitert werden konnte, endete die Legislaturperiode des Bundestages, neue Politiker:innen waren gewählt worden, die neu informiert werden mussten, denn sie hatten im wahrsten Sinne des Wortes von „Tuten und Blasen“ keine Ahnung.
Kaum jemanden ist die besondere Diversität der Sexarbeitsbranche bekannt:
- jede Sexarbeiter:in hat ihre eigene Motivation, warum sie mit dem Job begonnen hat,
- jede Sexarbeiter:in hat eigene Stärken, Qualifikationen, Eigenarten und Vorlieben, warum sie sich für bestimmte sexuelle Dienstleistungen entscheidet und diese
anbietet, - sexuelle Dienstleistungen können nicht reduziert werden auf Geschlechtsverkehr mit oder ohne Vorspiel. Die Bandbreite ist enorm und beginnt vielleicht mit einer Unterhaltung, der Begleitung in die Oper oder in ein Restaurant oder den Urlaub, Tanzen, Massagen, geht über eine Vielfalt von Stellungen und endet vielleicht im BDSM-Bereich oder ist auch nur eine freundschaftliche Verbindung mit finanziellem „Ausgleich“,
- Bordellbetriebe sind ebenfalls sehr verschieden. Schon die Bezeichnungen lassen dies vermuten: Wohnungsbordell, Club, Bar, Laufhaus, Eros-Zentrum, Filmkino, FKK-Wellness, Straßenprostitution, Fensterprostitution, Lovemobil, Escort, Haus- und Hotelbesuche oder Terminwohnungen. Die Betriebskonzepte unterscheiden sich enorm, wie auch die Ausstattungen der Betriebe und deren Angebote,
- die Kunden kommen aus allen Teilen der Gesellschaft mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen. Auch hier kann man den Monteur, der sich eine kurze Entspannung für 10 Minuten wünscht, nicht mit dem dementen Bewohner eines Seniorenzentrums vergleichen geschweige denn mit dem devoten Kunden, der 24 Stunden in einem BDSM-Studio-Käfig eingesperrt werden will.
Ein Verband der Sexarbeitsbranche muss sich dieser Vielfalt bewusst sein. Dies muss konsequent nach außen präsentiert werden. Denn diese Vielfalt erfordert natürlich unterschiedliche Lösungen in Gesetzen und Behördenhandeln. Das stellt eine große Herausforderung für unseren Verband dar – im Gegensatz zu manch anderen Verbänden.
Die Politik ist einen anderen, als den von uns vorgeschlagenen Weg gegangen. Wir hatten eine konsequente Übertragung des Paradigmenwechsels durch das ProstG auf alle anderen relevanten Gesetze gefordert, was mehr einer Integration der Branche gleichgekommen wäre. Doch man entschied sich mit dem ProstSchG wieder für ein Sondergesetz. Das Prostituiertenschutzgesetz (2017) hat auf der einen Seite für die Prostitutionsstätten gewerberechtliche Regelungen und damit auch Sicherheiten geschaffen – wenn auch oft mit nicht zu erfüllenden Auflagen versehen. Auf der anderen Seite sind Sexarbeiter:innen mit enormen gesetzlichen Auflagen und einer Pflicht zur Führung des sog. Hurenausweises belegt worden. Keine andere Berufsgruppe wird so engmaschig überprüft und überwacht. Damit wurden aber auch tiefe Einschnitte in ihre Grundrechte vorgenommen, ohne dass dies ihre Rechte, ihre Autonomie und ihre Professionalität gefördert hätte. Im Gegenteil: ein deutliches Abwandern in unkontrollierte Bereiche ist festzustellen.
Gleichzeitig sind auch heute noch – 8 Jahre nach dem Inkrafttreten des ProstSchG – große Umsetzungsprobleme festzustellen und eine fehlende Anpassung an die Praxis. Der Föderalismus und die Übertragung der Verantwortung auf die Kommunen sind hier z. T. verantwortlich.
Große Erwartungen werden heute an die Evaluation des ProstSchG geknüpft. Man verspricht sich nicht nur eine wissenschaftliche Darstellung des IST-Zustandes der Prostitutionsbranche, sondern auch eine Klarstellung über die vielfältig kursierenden Zahlen. Wenn damit endlich mit dem Irrsinn der geschätzten 200.000–400.000 oder sogar 1 Million Sexarbeiter:innen in Deutschland aufgeräumt werden könnte! Die realistische Zahl dürfte bei 60–90.000 Sexarbeiter:innen liegen, die in Deutschland permanent oder auch nur zeitweise tätig sind. Errechnen lässt sich dies anhand der Anzahl der Bordellbetriebe, der Größe des Landes und der eventuellen Anzahl der Kunden.
Resümee
Mit dem ProstG und ProstSchG wurden richtige Ansätze verfolgt und Gesetze in die richtige Richtung erlassen – hin zu Regelungen, die es für andere Branchen auch gibt. Wir hätten uns allerdings kein Sondergesetz gewünscht, sondern eine Integration in anderen Gesetzen, wie dem Gewerberecht und Baurecht.
Doch genauso können wir nicht mit dem politischen Engagement von Sexarbeiter:innen, Bordellbetreiber:innen und Kunden zufrieden sein. Es reicht nicht, Mitglied in einem Verband zu sein. Aktive Teilnahme bei Treffen und Seminaren, in der Öffentlichkeit und vor der Kamera sind mehr denn je wichtig, wenn auch das Einzelkämpfertum weiterhin stark verbreitet ist wie auch eine Vogel-Strauß-Politik, das Vertrauen in die Politik immer noch existiert und die Angst vor Diskriminierung (auch der Angehörigen) berechtigt ist.
Dies alles ist für uns Motivation dranzubleiben, aktiv aufzutreten und insgesamt eine starke Beteiligung bei allen Diskussionen um die Sexarbeitsbranche zu fordern: redet mit uns – nicht über uns!
Die politische Arbeit wird immer schwerer. Wie ein Damoklesschwert schwebt die Forderung nach einem sog. Sexkaufverbot über uns. Längst ist die Atmosphäre im außerparlamentarischen Raum verpestet: Lügen, Dramatisierungen, Fakenews und fehlende Trennung zwischen zu verurteilendem und zu bekämpfendem Menschenhandel und legaler Prostitution vergiften in der Gesellschaft jegliche Auseinandersetzung mit Sexarbeit.
Es bedarf unbedingt neuer Wege und neuer Denkmuster: Arbeitsgruppen in jedem Ministerium, Runde Tische oder Bürgerräte und ein Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus – z. B. nach Belgien und Neuseeland – könnten endlich Lösungen hin zur rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung von Prostitution mit anderen Berufen bringen.
Fußnoten …
(1) Als Experten zu den Events luden wir ein Rechtsanwälte, Steuerberater, Historiker, Wissenschaftler, etc. (2) Kunden spielten in der damaligen Diskussion keine Rolle – was insbesondere unter dem Aspekt der HIV/AIDS-Prävention zumindest fahrlässig war. Erst viel später rückten Freier – heute nennen wir sie Kunden – in das Licht der Öffentlichkeit. Aber vielleicht hatte auch die zunehmende Internet-Entwicklung ihnen die Möglichkeit der Vernetzung geschaffen. Auch dürfte der engagierte Kampf der Sexarbeiter:innen um Rechte und Respekt sie ebenfalls animiert zu haben, aus dem Schattendasein – zumindest teilweise – herauszutreten. (3) https://www.bundestag.de/resource/blob/407090/2c019d78d6c97dca881a6026da5267ba/wd7 14107pdfdata.pdf (4) Wir nannten das Gesetz folgerichtig: ProstG II – und analog zum Gewerberecht schrieben wir ein sog. Prostitutionsstättengesetz: https://bsd-ev.info/wpcontent/uploads/2019/02/GesetzesentwurfJu ni2014.pdf ) (5) https://bsd-ev.info/guetesiegel/bsdguetessiegel/ (6) Strafgesetzbuch, Sperrgebiets-Verordnungen, Gewerberecht, Baurecht, Immissionsrecht, Steuerrecht, Ausländerrecht, etc.
Stephanie Klee – Vorständin
BSD – Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e. V.
c/o Zimmervermietung Rose
Rhinstr. 101 – 10315 Berlin
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