Nach jahrzehntelangen Bemühungen um eine „Normalisierung“ der Sexarbeit und eine das Selbstbestimmungsrecht der Frauen respektierende Rechtslage schlägt das Pendel heute wieder zurück. Ausdruck dieses Rückschlags ist der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Anfang des Jahres 2024 eingebrachte Antrag, Sexkauf zu verbieten und den Kauf sexueller Dienstleistungen als Vergehen unter Strafe zu stellen. (1) Auch in der SPD mehren sich die Stimmen für ein Sexkaufverbot und gegen eine Anerkennung von freiwillig ausgeübter Prostitution. (2) Neben Forderungen, Beratungsangebote auszuweiten zeichnet der Antrag der CDU/CSU-Fraktion ein düsteres Bild von in der Prostitution tätigen Frauen.
Mit der Einführung einer Strafbarkeit für den Kauf sexueller Dienstleistungen wird faktisch ein Berufsverbot für diese Dienstleister:innen gefordert. In bemerkenswerter Oberflächlichkeit – ohne Quelle und ohne Angaben zum betroffenen Zeitraum – wird in dem Antrag eine erstaunliche Zahl präsentiert. Es wird behauptet, unter dem „Schutzmantel“ der Gesetzgebung im Bereich der Prostitution habe sich Menschenhandel „unkontrolliert ausbreiten“ können und eine „hohe sechsstellige Zahl von Frauen und Mädchen“ sei von dieser Entwicklung betroffen.
Ein Vergleich mit den für Deutschland veröffentlichten Zahlen zeigt, dass diese Aussage offensichtlich falsch ist. Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zuhälterei finden statt, aber nicht annähernd in dem von der CDU/CSU behaupteten Ausmaß. Für das Jahr 2023 erfasst die polizeiliche Kriminalstatistik 224 Fälle von Menschenhandel, 316 Fälle von Zwangsprostitution und 129 Fälle von Zuhälterei. (3) Die Gesamtzahl von 669 Fällen unterscheidet sich nicht wesentlich von den Zahlen dieser Straftatbestände in den Jahren zuvor, für die 603 Fälle im Jahr 2022, 500 Fälle im Jahr 2021 und 622 Fälle im Jahr 2020 erfasst wurden. (4)
Es ist selbstverständlich zu bedauern, dass es im Umfeld von Prostitution gewalttätiges kriminelles Verhalten gibt, dessen Opfer häufig Frauen sind und das so schwer wiegt, dass es mit hohen Strafen bedroht ist (vgl. §§ 181a, 232, 232a StGB). Kriminelle Erscheinungen im Umfeld eines Berufs können aber nicht als Rechtfertigung dafür dienen, einen Beruf in Gänze zu verbieten.
Sowohl die Historie als auch vermeintlich gute Vorbilder, wie das sogenannte „Nordische Modell“, zeigen, dass ein Verbot von Sexarbeit faktisch nicht durchsetzbar ist und im Übrigen nicht dazu beiträgt, die Situation von Sexarbeiter:innen zum Besseren zu verändern. Ganz abgesehen davon, dass ein Berufsverbot in Deutschland verfassungswidrig wäre.
1 … Historie
Ein Jahrhunderte währendes Regime der Regelung und Sanktionierung im Bereich der Prostitution wurde in Deutschland mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18.02.1927 (5) abgeschafft. Diese Entwicklung wurde seinerzeit begrüßt, denn
„Jahrhundertelange Erfahrung (hat) gezeigt, dass sie (Erläuterung: die Strafandrohung) erfolglos ist, dass sie keinen Nutzen stiftet, weder den Nutzen der Besserung noch den der Abschreckung, wenn ihre Anwendung im Gegenteil schadet, weil die Strafandrohung den Anschein erweckt, als leiste der Staat etwas im Kampf gegen die Prostitution, während er in Wahrheit damit nichts schafft und nichts erreicht.“ (6)
Wesentliches Motiv des Gesetzgebers für die uneingeschränkte Erlaubnis von Prostitution lag seinerzeit im Gesundheitsbereich und die Reform war daher auch Gegenstand eines Gesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Man ging davon aus, dass Sexarbeiter:innen einfacher ansprechbar wären, wenn sie nicht im Verborgenen tätig sind, und wollte mit diesem Schritt zur Gesundheit der gesamten Gesellschaft beitragen.
Auf diesen ersten Schritt folgte eine Jahrzehnte währende rechtliche Diskriminierung von Prostituierten. Insbesondere das Verdikt der Sittenwidrigkeit führte bis zum Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes (ProstG) zum 01.01.2002 zu einer vollkommenen Rechtlosigkeit von Prostituierten. (7) Mit dem Prostitutionsgesetz wurde die Sittenwidrigkeitsprämisse abgeschafft und der Weg bereitet, legal Bordellbetriebe zu betreiben.
In einem weiteren Schritt, etwa 15 Jahre später, wurde das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) eingeführt. Mit diesem Gesetz erfolgte eine starke Verrechtlichung der Tätigkeit in der Prostitution. Kernelemente des ProstSchG sind die mit einer Gesundheitsberatung einhergehende Anmeldepflicht für Prostituierte, die von strengen Zulassungsvoraussetzungen geprägte Erlaubnispflicht für bordellartige Betriebe („Prostitutionsstätten“ (8)) und ein Ordnungswidrigkeiten-Katalog für Verstöße gegen die gesetzlichen Anforderungen. Dieser „Schutzmantel“ der legalen Prostitution, der unter einer CDU/SPD-Regierung eingeführt wurde, könnte zukünftig mit einem Sexkaufverbot abgeschafft werden.
2 … Nicht Opferschutz, sondern Diskriminierung
Mit einem als Opferschutz geframten Sexkaufverbot wird ein Diskriminierungsansatz verfolgt, der es den Frauen abspricht, über ihre Menschenwürde und den eigenen Körper bestimmen zu können. Was der Rückschritt in die Zeiten vor Abschaffung der Sittenwidrigkeit für die Frauen rechtlich bedeuten würde, lässt sich an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ablesen. Das Bundesverwaltungsgericht stellte die Prostitution im Jahr 1965 auf eine Ebene mit der Betätigung als „Berufsverbrecher“ (9) und meinte, eine solche Tätigkeit liege „von vorneherein außerhalb der Freiheitsverbürgung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG“ (10).
Auch noch 1980 war das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung, Prostitution sei eine mit der Menschenwürde nicht vereinbare Art der Erzielung von Einkünften. (11) Man ging also davon aus, dass Frauen, die in der Prostitution arbeiten, nicht in der Lage sind, selbst zu bestimmen, was ihre Menschenwürde ausmacht. Gleichzeitig unterlagen sie aber den steuerlichen Pflichten wie andere Gewerbetreibende und mussten Umsatzsteuer abführen. (12)
Diese diskriminierende und geringschätzende Rechtsauffassung wurde mit der Abschaffung der Sittenwidrigkeit durch das ProstG am 01.01.2002 zu Grabe getragen und im weiteren Verlauf hat auch das Bundesverfassungsgericht 2009 bestätigt, dass Prostitution den Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG genießt. (13) Damit ist ein strafbares Sexkaufverbot, das die Ergreifung des Berufs verhindern soll, verfassungswidrig, weil es unmittelbar die Freiheit der Berufswahl betrifft, die bekanntlich nicht eingeschränkt werden kann.
Die Theorie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der rechtliche Rahmen für Prostitution bilde einen „Schutzmantel“ für die Entwicklung von Kriminalität, widerspricht der Realität. Zwar haben sich bei der Umsetzung des ProstSchG Vollzugsdefizite ergeben. Die Behörden haben sich sehr schwergetan, über Erlaubnisanträge für bordellartige Betriebe zu entscheiden. In – soweit hier bekannt – nie da gewesener Weise haben die Behörden einfachste Erlaubnisanträge liegengelassen und bis zu 7 Jahre bis zur Entscheidung über einen Antrag verstreichen lassen. Da für Altbetriebe, die im Jahr 2017 eine Erlaubnis beantragt hatten, eine Genehmigungsfiktion galt, hat das praktisch niemanden gestört. Dieses Vollzugsdefizit spricht jedoch nicht etwa für ein Verbot der Prostitution. Denn dann würde sich erst recht die Frage stellen, wie die Behörden dieses vollziehen sollen, wenn sie schon bei einem offen ausgeübten Beruf untätig sind.
Das Gegenteil ist richtig: wer Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution schützen will, benötigt den rechtlichen Rahmen, um Ermittlungsansätze aufdecken zu können.
Mit dem ProstSchG wurden umfangreiche Überwachungs- und Auskunftsrechte für die Verwaltung geschaffen. (14) Damit wurde eine Zugänglichkeit und Offenheit der bordellartigen Betriebe für die Behörden eingeführt, die Kriminalität wesentlich erschweren. Auch heute gilt, wie im Jahr 1927, dass eine Verdrängung von Prostitution in die Illegalität für alle Beteiligten gefährlich ist. Dies gilt für den Zugang zu Gesundheitsberatung und -behandlung ebenso wie für mögliche Gewalttaten in der Verborgenheit der von den Befürwortern des Sexkaufverbots angestrebten Illegalität von Prostitution.
3 … Sexkaufverbot praktisch nicht umsetzbar und die Leidtragenden sind die Prostituierten
Schließlich zeigt die Erfahrung, dass ein Sexkaufverbot faktisch nicht durchsetzbar ist. Auch Deutschland hat diese Erfahrung über viele Jahre gemacht. Bis zum 01.01.2002 war (fast) jegliche Art von Bordellbetrieb als Förderung der Prostitution nach § 180 a.F. StGB strafbar. Es gab also ein Verkaufsverbot für Sex, der in Bordellbetrieben angeboten wurde. Die Strafandrohung richtete sich gegen die Betreiber:innnen. Rotlichtviertel in den Städten, St. Pauli in Hamburg – alles war strafbar und dennoch ein boomender Wirtschaftszweig. In der Praxis wurde das „Sexverkaufsverbot“ von Betreiber:innen und Polizei gemeinsam ignoriert.
Die CDU/CSU Fraktion will sich am sog. „Nordischen Modell“ orientieren. (15) Erfahrungen mit dem Sexkaufverbot zeigen aber, dass das keine gute Idee ist. In Nordirland führte die Einführung des sog. „Nordischen Modells“ weder zu einer Verringerung der Nachfrage noch des Angebots von Prostitution. Im Gegenteil, es konnte festgestellt werden, dass das Angebot an kommerziellen sexuellen Dienstleistungen nach Einführung des Modells sogar zugenommen hat. (16) Gleichzeitig wurde die Verhandlungsposition der Sexarbeiterinnen gegenüber ihren Kunden geschwächt. Sie wurden gezwungen, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu lockern, an unbekannten Orten zu arbeiten (17) oder sexuelle Praktiken durchzuführen, die sie normalerweise nicht tun würden. (18)
Hinzu kommt ein zweifach erhöhtes Risiko einer sexuell übertragbaren Krankheit, das mit jedem Verbot einhergeht. (19) Zudem zeigen Studien aus Schweden und Norwegen, dass sich die Beziehungen der Sexarbeiter:innen zur Polizei verschlechterten; sie wurden schikaniert, invasiv überwacht und befragt und hatten Angst, sich an die Polizei zu wenden, wenn sie Opfer einer Straftat geworden waren. (20) Insgesamt führte die Einführung des sog. „Nordischen Modells“ zu einem verstärkten Gefühl der Stigmatisierung und einem unsicheren und ängstlicheren Arbeitsumfeld bei den Sexarbeiter:innen sowohl in Schweden, Norwegen wie auch in Nordirland. (21)
4 … Fazit
Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es Menschenhandel und Zwangsprostitution gibt und Menschen, die in der Prostitution arbeiten, Opfer dieses kriminellen Verhaltens werden. Auch in diesem Bereich gibt es möglicherweise ein Vollzugsdefizit, das wir seit einiger Zeit in Deutschland an den verschiedensten Stellen der Behördenarbeit beobachten. Auch wenn das nicht – wie die CDU/CSU-Fraktion offenbar meint – im Bereich von mehreren hunderttausenden Fällen liegt, ist jeder verfolgte und jeder nicht verfolgte Fall einer zu viel.
Diese Erkenntnis rechtfertigt es aber nicht, allen Menschen das Recht abzusprechen, selbstbestimmt den Beruf der Prostituierten auszuüben. Eine solche Sicht auf die Prostitution steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes.
Prostitution ist ein Beruf und genießt den Schutz von Artikel 12 GG. Art. 1 GG erfordert Respekt vor der Entscheidung in diesem Beruf tätig zu werden.
Fußnoten:
(1) BT-Drs. 20/10384. (2) vgl. Bundeskanzler Scholz, Plenarprotokoll 20/136 S. 17149; Leni Breymaier, Frauenpolitische Sprecherin der SPD, FAZ v. 08.11.2023 (3) vgl. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2023/PKSTabellen/BundFalltabellen/bundfalltabellen.html?nn=226082 (4) vgl. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_node.html (5) RGBl I, S. 61. (6) Helwig, Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. Februar 1927, 1928, S. 10 (7) Vgl. hinsichtlich der Einzelheiten von Galen, Rechtsfragen der Prostitution, München 2004, Entstehungsgeschichte und Entwicklung, Rn. 1 ff. (8) § 2 Abs. 3 ProstSchG. (9) „Berufsverbrecher“ wurden von den Nationalsozialisten, nachdem sie Strafen wegen Eigentumsdelikten verbüßt hatten, in die Konzentrationslager überstellt und erst durch Beschluss des Bundestages am 13.02.2020 als von den Nationalsozialisten Verfolgte anerkannt (vgl. BT-Drs. 19/14342 und Plenarprotokoll 19/146 S. 18325 –18332. (10) BVerwG, Urteil v. 04.11.1965 – BVerwG I C 6.63, Rn. 10, eine Entscheidung des 1. Senats unter dem Vorsitz des Präsidenten des BVerwG Fritz Werner, Mitglied der SA und der NSDAP. (11) BVerwG, Urteil v. 15.07.1989 – BVerwG 1 C 45.77, Rn. 22. (12) v. Galen ProstSchG/von Galen Einleitung Rn. 4 m. Hinw. (13 BVerfG, Beschluss v. 28.04.2009 –1 BvR 224/07. (14) Vgl. v. Galen ProstSchG/von Galen § 29 ff. (15) BT-Drs. 20/10384, S. 2. (16) Ellison/Ni Dhónaill/Early, A review of the criminalisation of paying for sexual services in Northern Ireland, School of Law, Queen’s University Belfast, September 2019, S. 164. (17) Vuolajärvi, Criminalising the Sex Buyer: Experiences from the Nordic Region, Centre for Women, Peace and Security, Policy Brief 06/2022, S. 10. (18) Ellison/Ni Dhónaill/Early, A review of the criminalisation of paying for sexual services in Northern Ireland, School of Law, Queen’s University Belfast, September 2019, S. 165f. (19) Prostitution und Sexkaufverbot, Deutsches Institut für Menschenrechte, S. 6. (20) Vuolajärvi, Criminalising the Sex Buyer: Experiences from the Nordic Region, Centre for Women, Peace and Security, Policy Brief 06/2022, S. 9f. (21) Ellison/Ni Dhónaill/Early, A review of the criminalisation of paying for sexual services in Northern Ireland, School of Law, Queen’s University Belfast, September 2019, S. 166; Challenging the introduction of the Nordic Model, Global Network of Sex Works Projects, S. 10.
Literaturempfehlung für Ordnungsbehörden und die sachinteressierte Politik:
Margarete von Galen – ProstSchG – Prostituiertenschutzgesetz
Umfassende Kommentierung des Gesetzes unter Berücksichtigung sämtlicher Gesetzesänderungen mit verwaltungsrechtlichem Schwerpunkt,
der aber die betroffenen Personen nicht aus dem Blick lässt.
310 Seiten – 2024 | 1. Auflage – C.H.Beck (Verlag) – ISBN 978-3-406-72338-4
Zur Seite im Beck-Webshop
Dr. Margarete Gräfin von Galen – Fachanwältin für Strafrecht
Galen Rechtsanwälte – Mommsenstr. 45 – 10629 Berlin
Zur Homepage Galen Rechtsanwälte