Kassandra ist ein gemeinnütziger Verein, der sich 1987 aus der Selbsthilfe von Sexarbeitenden gegründet hat und sich seitdem für deren Rechte, gesetzliche Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung einsetzt. Wir unterhalten eine Beratungsstelle in Nürnberg und führen aufsuchende Arbeit im gesamten nordbayerischen Raum durch. Wir unterstützen Sexarbeitende bei Wohnungssuche, Anerkennungsverfahren, beim Umgang mit Behörden und Ämtern. Aufklärung über rechtliche Rahmenbedingungen und Beratung bei psychosozialen Fragestellungen gehören genauso zu unserem Angebot wie niedrigschwellige Arbeit, Deutsch- und Kreativkurse. Und natürlich begleiten wir unsere Klient:innen, wenn sie sich beruflich neu orientieren möchten.
Wir lehnen die Einführung eines Sexkaufverbots nach dem sogenannten „Nordischen Modell“ in Deutschland entschieden ab, da es zu einer nachhaltigen Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeitenden führen und ihr soziales Umfeld sowie Menschen, die erotische oder sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, pauschal kriminalisieren würde.
Wir haben in den fast vierzig Jahren unseres Bestehens mit vielen Sexarbeitenden gesprochen und waren konkret mit ihren Problemen und Anforderungen konfrontiert. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind Randerscheinungen, die nicht unter dem Begriff Sexarbeit subsummiert werden dürfen, sondern eigene Straftatbestände darstellen.
Menschen in der Sexarbeit haben generell mit anderen Problemen zu kämpfen (z.B. mit Stigmatisierung, Viktimisierung und Alltagsproblemen wie z.B. Zugang zum Gesundheitswesen und zum regulären Wohnungsmarkt, Fragen zu Steuerangelegenheiten), bei denen wir sie unterstützen.
Wenn es tatsächlich darum gehen soll, Menschen, die erotische und sexuelle Dienstleistungen anbieten, zu unterstützen, ist ein Sexkaufverbot definitiv der falsche Weg.
Ein Sexkaufverbot würde nicht nur die Menschen, die erotische oder sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, kriminalisieren. Vielmehr wird das soziale Umfeld von Sexarbeitenden kriminalisiert, da alle Menschen, die mit dem Einkommen von Sexarbeitenden bezahlt werden, pauschal zu Profiteuren von Sexarbeit erklärt werden und sich somit strafbar machen können. Das kann zum Beispiel der Vermieter sein.
Unsere Klient:innen sind in unterschiedlichen Kontexten tätig. Viele von ihnen schätzen den sicheren Raum, den Bordelle und FKK-Clubs zur Verfügung stellen. Sollte es – wie von der CDU/CSU gefordert – zu einem Sexkaufverbot kommen, würden alle Prostitutionsstätten geschlossen werden. Da auch Vermieter:innen eine Strafanzeige befürchten müssten, wenn sie an Sexarbeitende Wohnungen vermieten, wird Sexarbeit ins „Dunkelfeld“ und damit in einen unsicheren Raum verdrängt, in dem Beratungsstellen keinen Zugang mehr haben.
Die Einführung eines Sexkaufverbots in Deutschland würde dazu führen, dass Sexarbeitende nicht mehr an relativ sicheren Arbeitsorten (wie z.B. in Bordell, Saunaclub oder Laufhaus) sondern alleine und isoliert arbeiten müssten (z.B. in der Wohnung von Kund:innen, im Freien oder im Auto). Dies hätte zur Folge, dass
- keine Sicherheitsvorkehrungen mehr möglich wären und
- sich Sexarbeitende nicht mehr gegenseitig unterstützen könnten, da sie sonst kriminalisiert werden könnten.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden würden sich mit einer Einführung des sogenannten Nordischen Modells in Deutschland verschlechtern. Sie würden noch häufiger Opfer von Stigmatisierung, Viktimisierung und Marginalisierung wer den. Dies wird durch eine Umfrage aus Schweden belegt, in der mittlerweile 54% der Bevölkerung eine zusätzliche Kriminalisierung von Sexarbeit fordern (1).
Gemäß dem Narrativ der Befürworter:innen eines Sexkaufverbotes werden Sexarbeitende pauschal zu Opfern erklärt, die entweder aufgrund psychischer Traumata oder durch Menschenhandel in die Prostitution gelangen. Menschen, die selbstbewusst entscheiden können, dass sie lieber mit erotischen oder sexuellen Dienstleistungen ihren Lebensunterhalt verdienen anstatt in anderen Berufen tätig zu sein, seien allenfalls die Ausnahme.
Dabei ist Sexarbeit bunt und vielfältig! Die Motivationen und Lebensläufe unserer Klient:innen sind unterschiedlich. Und natürlich ist für viele ein Hauptgrund, Geld zu verdienen.
Dass ihre Kund:innen pauschal zu Tätern erklärt werden, finden viele Sexarbeitende ähnlich beschämend wie der Umstand, dass sie selbst als Opfer gebrandmarkt werden. Und ihnen ist klar, dass es den Befürworter:innen eines Sexkaufverbots nicht um ihren Schutz geht, sondern darum, über die Kriminalisierung ihrer Kundschaft Sexarbeit zurückzudrängen und ihnen die Arbeit zu erschweren bzw. unmöglich zu machen.
Gäste haben ebenfalls unterschiedliche Gründe, sexuelle oder erotische Dienstleistungen zu nutzen. Es gibt Gäste,
- die sehr schüchtern sind und sich nicht trauen, im privaten Umfeld jemanden kennenzulernen,
- die einen Fetisch haben, für den sie sich schämen,
- die dominiert werden wollen,
- die sich danach sehnen, berührt zu werden,
- die berühren wollen. Gäste, die unsicher sind, und erfahren wollen, welche Gelüste sie noch haben,
- die aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage sind, sich selbst zu berühren,
- die sehr alt sind, in Behinderten- oder Altenwohnheimen leben.
Die meisten Gäste sind liebenswert und respektvoll. Es gibt Stammgäste, die einem über die Jahre ans Herz wachsen. Für viele von ihnen bietet Sexarbeit den geschützten Rahmen, in dem sie sich als sexuelle Wesen erleben können und nicht verurteilt fühlen. Natürlich gibt es auch schwierige Gäste, die den gebührenden Respekt vermissen lassen.
Die Gäste der Sexarbeitenden kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Sie bilden einen repräsentativen Querschnitt unserer Gesellschaft, aber reden in der Regel aus Scham mit niemandem darüber, dass und warum sie erotische oder sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Auch sie unterliegen einer Stigmatisierung – und das Narrativ vom gewalttätigen und vergewaltigenden Freier würde diesen Umstand noch verschärfen.
Es werden als Konsequenz auch Eingriffe in die im Grundgesetz festgeschriebenen Elternrechte befürchtet, wie sie bereits in Schweden stattfinden. Dort wurde Sexarbeitenden, allein aufgrund der moralischen Verurteilung und Ablehnung, das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen, obwohl keine Kindeswohlgefährdung vorlag.
Ein Sexkaufverbot würde auch das Recht von Sexarbeitenden auf sexuelle Selbstbestimmung, welches das Bundesverfassungsgericht aus der Würde des Menschen nach Art. 1 GG in Verbindung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG ableitet und das in der Erklärung der sexuellen Menschenrechte fest verankert ist, massiv einschränken.
In Deutschland ist die Wahl der Sexarbeit als Beruf „eine als vom Recht zu respektierende autonome Entscheidung erwachsener Menschen“ (3). Dieser Beruf ist, wie andere prekäre Berufe auch, mit Risiken und Gefahren, wie z.B. Gewalt und Ausbeutung verbunden. Doch bei einer fairen und nicht moralisierenden Betrachtung wird klar, dass diese Risiken von den (rechtlichen) Rahmenbedingungen abhängen, unter denen Sexarbeit stattfindet.
„Der Staat ist, unabhängig davon wie er die Prostitution regelt, verpflichtet die Rechte von Prostituierten, wie das Recht auf Gesundheitsversorgung, den Schutz vor Gewalt und Ausbeutung und das Diskriminierungsverbot nicht nur auf dem Papier zu gewährleisten.“ (4)
Unserer Expertise nach versagt das von der CDU/CSU vorgeschlagene Sexkaufverbot. Neuseeland und Belgien haben einen anderen Weg gewählt: eine Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Berufszweigen. Dies wäre aus unserer Sicht eine probate Alternative zur angedachten Verbotspolitik.
Fußnoten …
(1) Vgl. Dolinsek, Sonja (2022): Prostitution und Menschenhandel (1): Die „Wahrheit“ über das „Nordische“ und „Schwedische“ Modell; Prostitution und Menschenhandel (1): Die „Wahrheit“ über das „Nordische“ und „Schwedische“ Modell – Menschenhandel heute. (2) Vgl. Dolinsek, Sonja (2022): Prostitution und Menschenhandel (1): Die „Wahrheit“ über das „Nordische“ und „Schwedische“ Modell; Prostitution und Menschenhandel (1): Die „Wahrheit“ über das „Nordische“ und „Schwedische“ Modell – Menschenhandel heute. (3) Deutsches Institut für Menschenrechte (2019): Prostitution und Sexkaufverbot; DIMR Prostitution – Sexkaufverbot 10.2019 (institut-fuer-menschenrechte.de) (4) Deutsches Institut für Menschenrechte (2019): Prostitution und Sexkaufverbot; DIMR Prostitution – Sexkaufverbot 10.2019 (institut-fuer-menschenrechte.de)
Konstantin Dellbrügge – Vorstand
Kassandra e. V.
Dr.-Kurt-Schumacher-str. 21 – 90402 Nürnberg
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